Laufgemeinschaft der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung e.V.

Ende April organisiert Michael Frenz über sein Meldeläufer-Label seit ein paar Jahren ein Event im Harz, bei dem die Teilnehmer überwiegend auf dem Hexenstieg laufen, einem Premiumwanderweg von Osterode über den Brocken nach Thale. Er bietet drei Läufe an: den Hinweg (Hexenritt), den Rückweg (Hexentanz) oder die ganze Schleife (Hexenstieg), die dann etwa 216 km umfasst.
Wie in den Vorjahren auch, war ich in erster Linie als Helfer vor Ort. Da ich als Coach im Team Meldeläufer für Trainingsfragen zur Verfügung stehe, bietet die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen mir auch die Möglichkeit des Kontaktes mit Team-Mitglieder. Die letzten beide Jahre hatte ich immer einen späten Versorgungspunkt betreut und war nach getaner Arbeit zum nächsten VP gelaufen. Dieses Mal war ich mit Ines Gonschorek, der Partnerin von Sebastian, der letztendlich bei dem Hexenstieg mit einer kleinen Gruppe den geteilten zweiten Platz erreichte, für den Punkt in Thale eingeteilt.

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Morgens um 6 Uhr war in Osterode der Start der Hexenstiegläufer. Von den über 50 Startern sollten 2 Tage später nur etwa die Hälfte das Ziel erreichen. Die anderen gaben aus verschiedenen Gründen zuvor auf, z.B. aufgrund der Kälte oder Frust oder Verletzungen oder weil sie das Zeitlimit nicht packten. Gerade die Navigation ist „spaßentscheidend“. Wenn man eh weiß, dass der Weg weit und das Zeitlimit knapp ist, kann verlaufen sehr deprimierend sein. Manche haben zwar die besten technischen Geräte, können damit aber nicht umgehen, manche probieren vergeblich die Navigation nach Karte und bei anderen ist plötzlich und unerwartet die Batterie leer. Dieses Jahr liefen die Hexenstiegläufer und die Hexentänzer mit Tracker, d.h. ihre Position wurde mit einem Sender ins Internet übertragen. So konnten interessierte Beobachter den Weg jedes einzelnen Teilnehmers genauestens verfolgen.

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Nach dem Start der Hexenrittläufer fuhren Michael Frenz und ich einzelne VPs ab. Hier trafen wir am ersten VP bei Kilometer 19 Thomas Porstner von der LG Ultralauf. Er hatte sich vom Trainingslager letzte Woche noch nicht ganz erholt und musste leider frühzeitig aufgeben.

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Auch der VP bei km 35 in Torfhaus hatte fast alles, was das Läuferherz begehrt. Mehr wäre Luxus und würde nicht ins Konzept passen.

Hex7Gegen Mittag kamen Ines und ich dann in der Jugendherberge in Thale an, wo wir zwei Räume hatten. Einen Vorraum, den wir zum Verpflegen nutzten und einen Ruheraum zum Schlafen.
Thale war der große VP. Ende des Hexenrittlaufes, Start des Hexentanzes und großer VP mit Dropback, Dusch- und Schlafmöglichkeit für die Läufer der ganzen Runde. Schnell hatten wir alles umgebaut und eingerichtet. Gegen 19 Uhr kam der führende der Hexenstiegläufer, Tiemo Arndt, der das Rennen aber nicht beenden konnte und dann kamen die Läufer alleine oder in Kleingruppen so nach und nach. Die Top-Läufer hielten sich im Durchschnitt 30 bis 45 Minuten bei uns auf, aßen, tranken, wärmten sich, einige duschten, wechselten ihre Bekleidung oder ruhten sich aus.

 

Für die Hexenrittläufer war der Lauf hier zu Ende. Sie erhielten direkt von uns eine Medaille und eine Urkunde. Auf dem Bild ehrt Ines den Sieger Franz Hinterramskogler.

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Es versammelten sich aber nicht nur glückliche Finisher. Ganz im Gegenteil war die Mehrheit unserer Gäste Läufer der langen Distanz, die hier etwa Halbzeit hatten, wobei die deutlich schwerere Hälfte noch vor ihnen lag. Die Hälfte der Läufer brachen den Lauf ja vorzeitig ab. Die meisten von ihnen schafften es zu Fuß, teilweise mit Abkürzungen oder mit dem Taxi bis zu uns und ließen dann ihren Frust ab. Morgens kam ein Bus der die Hexentanzläufer brachte und die Hexenrittläufer und Hexenstiegabbrecher zurück nach Osterode fuhr. War halt nur blöd, wenn der Ausstieg nicht geplant war und man nach der Dusche keine Wechselsachen und für Nacht weder Unterlage noch was zum Wärmen hatte.
Einige der Hexenstieg-Läufer hatten es zwar bis zu uns geschafft, kamen aber völlig ausgepumpt und mutlos an. Diese Leute galt es, in kürzester Zeit körperlich und seelisch wieder aufzubauen und voll motiviert in die eiskalte Nacht zu schicken.
Diese Szenerie ist kaum zu beschreiben und für Außenstehende sowieso nicht zu verstehen. Mein allergrößtes Kompliment geht an Ines, mit der ich mich supergut verstanden habe. Wir hatten den gleichen Ordnungssinn, benutzten das gleiche Vokabular zum Motivieren, wussten intuitiv, wann wir Leute belabern mussten und wann schweigen die bessere Option war. Es gab durchaus komplizierte Situationen, doch kam nie Stress auf.
Gegen 2 Uhr legte ich mich in meinen Schlafsack, denn ich wollte am nächsten Tag noch eine Runde laufen. Die meisten Leute waren zu dem Zeitpunkt durch, einige waren noch unterwegs, davon würden einige das Zeitlimit nicht mehr schaffen.
Morgens mussten wir dann aufräumen und alles wieder umbauen. Ich aß Kaffee, Schokolade, Salzstangen zum Frühstück, dann ging nach einem Foto der Lauf los.

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12 Leute versammelten sich zum Start des Hexentanzes, der einmalig kurios für mich begann. In gewisser Weise für die meisten verständlich ist wohl, dass meine Einstimmung auf den Lauf nicht besonders optimal war. Ich hatte meinen Rucksack bereits drei Tage vorher komplett gepackt und musste nur noch Wasser in die Trinkblase tun. Nach 10 Metern fiel mir auf, dass ich beim Startsignal zwar bei der Uhr auf „Start“ gedrückt, allerdings nicht den Track geladen hatte. Also schnell „Aktivität stoppen“, „Aktivität verwerfen“ geklickt, dann Navigation – Strecken - die Strecke THA-OHA 2017 auswählen - Track starten - Disziplin Laufen wählen - Starten klicken – die Uhr lief und zeigte den Track an. Es ging los! War wohl ein tolles Bild: alle laufen los, nur ich Experte klicke noch gefühlte Minuten an meiner Uhr und laufe allen hinterher. Kaum hatte ich den Anschluss geschafft, äußere ich die Frage, ob wir richtig seien, denn meine Uhr zeigte eine größere Abweichung. Rechts Wasser, links ein steiler Hang; blöde Frage eigentlich. „Ja, natürlich“ hörte ich von vorne. Meiner Uhr traue ich eh nicht so ganz und in einem Tal sind Abweichungen durchaus nichts Ungewöhnliches. Also weiter. Bei Kilometer 1 kamen wir auf eine Straße und völlig zweifelsfrei hätten wir eigentlich von links kommen müssen. So ein Mist! Für mich war die Sache sofort klar und rufe in die Gruppe, dass wir uns vertan haben und ich zurücklaufe. Erstaunlicherweise kam nur ein „macht-nichts“ zurück. Da ich eh mein eigenes Rennen laufen wollte, drehte ich alleine um und lief die 900 Meter zurück, denn wir hatten tatsächlich direkt hinter dem Start eine Abzweigung verpasst. Plötzlich war Mark Fietkau neben mir. Er gehört zum Team Meldeläufer und wollte mich unbedingt kennenlernen. Eine Minute später gesellte sich noch Thorsten Vincentine zu uns. Es sollte heute sein erster Ultra werden und da wollte er auf gar keinen Fall schon bei Kilometer 1 schummeln. So traten wir drei den Rückweg zurück zum Start an und fanden auf Anhieb den Aufstieg, der so klein und unübersehbar eigentlich gar nicht ist. Aber man findet nur, was man sucht – alte Pilzesammlerweisheit! Ich ging direkt, während die anderen beiden davontrabten. Gute Gelegenheit, sich der Handschuhe und Mütze zu entledigen. Nach ca 500m wartete Mark auf mich. Er hatte zwar ein Navigationsgerät, aber das war im Rucksack und er war froh, wenn er es nicht benutzen müsste. Nun gut, so liefen wir halt zusammen. Er war ein Ex-Top-Läufer und aktuell vermutet stärker als ich. Ich erklärte ihm meinen Plan, dass ich 16 Stunden laufen möchte; schneller kann ich nicht, langsamer will ich nicht; langsam laufen, berghoch gehen, bergrunter vorsichtig, wenige, kurze Pausen. So einfach war das geplant.

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Ich bin ja eigentlich nicht so der Typ, der im Wettkampf Fotos macht, aber hier an der Rappbodetalsperre mit der höchsten Staumauer Deutschlands mit über 100m, machte ich einmal eine Ausnahme. Ganz in der Nähe soll übrigens die weltweit längste Hängebrücke der Welt gebaut und vermutlich noch im Mai eröffnet werden.
Das Wetter war gigantisch super warm, wolkenlos und ermöglichte eine tolle Wahrnehmung der wunderschönen Gegend. Der Hexenstieg ist teilweise kinderwagengeeignet und daher verlässt der Track regelmäßig die breiten Wege, um uns Einsichten ins Unterholz zu ermöglichen. Prima Ideen hatte der Wegedesigner da gehabt. Wir lagen gut im Plan und kamen gut vorwärts. Die ersten 46 Kilometer bis Mandelholz waren recht einfach, doch nun sollte es anspruchsvoller werden. Dachte ich die nächsten 40 Kilometer zu kennen, so täuschte ich mich, denn Racedirector Michael Frenz hat die Strecke geändert und dadurch nicht unbedingt einfacher gemacht, sondern noch ein paar Höhenmeter und schmale Wege gefunden und eingebaut. Plötzlich trafen wir Thorsten wieder. Er war mit einem anderen Läufer, der bereits orthopädische Probleme hatte, wandernd unterwegs, schloss sich aber kurz entschlossen uns an.

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Mark und Thorsten bildeten mit mir eine tolle Laufgruppe. Gemeinsam legten wir etwa 60 Kilometer des Weges zurück.
Es war sehr kurzweilig und die Zeit verronn wie im Fluge – nur die Kilometer nicht. Wir kamen teilweise nur schleppend langsam vorwärts, da viele Steine, Matsch, Wurzeln einfach bösartig mitten auf dem Weg lagen. Gegen 20:45 erreichten wir den letzten großen Versorgungspunkt in Stankt Andreasberg. Guido Althausen betreute ihn in einer Ferienwohnung und freute sich auf uns. Wir aßen, tranken, bereiteten uns für die Nacht vor und waren auch schon wieder weg.

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Nach der romantischen Abendstimmung kam die Nacht. Die Nacht von Sonntag auf Montag war nicht kalt, aber windiger. Irgendwie musste ich doch mehr wandern, warten und frieren, als geplant und so hatte die ganze Tour dann doch wesentlich länger gedauert. Erst nach 19 Stunden gegen 5 Uhr in der Frühe kamen wir wieder in Osterode an. Da blieb dann nach dem Duschen noch eine Stunde Zeit zum Schlafen bis zum Frühstück. Naja, immerhin.
Ein großes Kompliment gebührt meinen Begleitern. Mark, der sich beherzt durch die ungeliebten Abschnitte kämpfte und Thorsten, der für seinem ersten Ultra sich wahrlich keine leichte Aufgabe ausgesucht hatte. Willkommen im Club der Abenteurer! Beide haben besonders in der Nacht Großartiges geleistet!

Text: Michael Irrgang, Fotos Michael Irrgang und Thorsten Vincentine, 2.5.2017

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