Nach der Halb-Marathon-PB vom voran gegangenen Wochenende (Bericht hier) ließ ich es die Woche über ruhig angehen, denn am Freitag ging es bereits erneut gen Norden, dieses Mal nach Sæby in Nord-Dänemark. Dort fand zum dritten Mal die Veranstaltung „24 timer ved havet“ (24 Stunden am Meer) statt. Der Name verrät es schon, es handelt sich um einen 24-Stundenlauf direkt am Strand und Meer, dazu noch in einer der schönsten und sonnigsten Ecken Dänemarks. Daneben werden auch die Disziplinen 12- und 6-Stunden sowie 1,2 oder 3 Marathons angeboten. Der große Zulauf in dieser auch für dänische Verhältnisse peripheren Region entsteht aber durch die entsprechenden Staffeln, die vor allem lokale Sportvereine, Firmen und andere (Lauf-)Gemeinschaften anzieht.
Meine Schwiegereltern machen dort im Norden seit über 40 Jahren Urlaub und vor zwei Jahren entdeckte ich eher zufällig, dass es diese Veranstaltung gibt. „Damals“ war ich eher ein Gelegenheitsläufer, aber das Thema „lange Laufen“ faszinierte mich als ehemaligen Orientierungsläufer und die Teilnahme an den #24timervedhavet kam auf meine laaaange Liste „MussIchAuchMalIrgendwannMachen“. Schneller als gedacht stand dann aber im April letzten Jahres mein erster Marathon auf der Agenda. Das fast 6-monatige Training und der zugrunde liegende Trainingsplan taten mir sehr gut und mir war klar, dass mit dem ersten Marathon in Hamburg nicht Schluss sein durfte. Da fiel mir Sæby ein und der bereits geplante Besuch bei meinen Schwiegereltern im Ferienhaus passte auch terminlich. Also meldete ich mich für die kürzest möglich Strecke an und lief meinen ersten „Ultra“. Nach der Veranstaltung bereits auf dem Weg zum Auto hörte ich plötzlich meinen Namen aus den Lautsprechern, ich war völlig unerwartet 2. bei den Männern geworden. Das motivierte zu mehr und der Eintritt in die DUV und die Teilnahme an weiteren Ultras war die logische Konsequenz für mich als ehemaligen Leistungssportler …
Auch diese Jahr passte der Besuch bei den Schwiegereltern und der Termin für die 24-Stunden. Diesmal meldete ich für die 12-Stunden als Vorbereitung für weitere, längere Herausforderungen. In nur 4 Stunden waren wir am Freitagnachmittag von Kiel aus an der Startnummernausgabe im Kajakk-Klub in Sæby. Die Nacht vor dem Lauf konnte ich im Ferienhaus mit Meerblick genießen und so entging mir der Wetterwechsel nicht. Der nächste Morgen war recht frisch, auch hatte sich eine Erkältung, die ich mir im Laufe der Woche dank Klimaanlagen in Konferenzräumen und Auto eingefangen hatte verschlimmert und so fuhr ich am späten Vormittag mit gemischten Gefühlen zum Start. Es schein, als wäre in dem kleinen Ort alles mobilisiert, was Beine hat und tatsächlich halfen viele Vereine aber auch auch Bürger der Gegend bei der Ausrichtung der Veranstaltung. Einer der ganz großen Höhepunkte des Laufs ist mit Sicherheit die Verpflegung. Bereits beim Umziehen bestaunte ich die riesigen Bleche mit Wienerbrød (sehr süßem Kuchen) …
.. sowie die Massen an Sandwiches die über längere Zeit herangetragen wurden und deren Quelle (?) während der Veranstaltung nie zu versiegen schien …
Fünf Minuten vor dem Start entschied ich mich aufgrund des zunehmenden Winds dann doch für lange Ärmel und pünktlich um 12 Uhr erfolgte für alle der Start. Die knapp 2 km lange Strecke führt durch ein Wohnviertel mit gepflasterten Wegen, durch ein kleines Wäldchen mit Schotter und durch ein Ferienhausviertel, ebenfalls mit einer Schotterstraße. Höhepunkt ist aber mit Sicherheit die ca. 800 m lange Passage direkt am Meer und am Strand. Im Laufe des Nachmittags wurde das Wetter auch besser und Immer wieder war der Blick bis zur Insel Læsø möglich und auch die Fähren dorthin sowie jene nach Göteborg (Schweden) boten entsprechende Abwechslung.
Foto von Målin Kruse
Meine Befürchtung für die 12 Stunden, dass mir dann doch irgendwann langweilig wird, waren natürlich unbegründet. Ultraläufer sind einem Plausch immer aufgeschlossen und bereits bei meiner zweiten Teilnahme traf ich bereits Bekannte aus dem Vorjahr, so. z.B. Per aus Bergen in Norwegen, mit dem ich so manche Runde lief und von dem ich auch dieses Jahr wieder viel über das Ultralaufen gelernt habe. Auch war ich nicht der einzige Deutsche, so starteten auch René (24 Stunden) und Thomas (2 Marathons) aus Hamburg. Erst nach 18.00 Uhr wurde es etwas leerer auf der Strecke, da in diesem Jahr sehr viele 6-Stundenläufer und -Staffeln angetreten waren.
Wie üblich ging ich die für mich neue Disziplin viel zu schnell an. Mein Minimalziel waren 100+ km, nach drei Stunden war ich auf Kurs 120 km, von dem ich mich dann aber doch schnell verabschieden musste. Überhaupt nutzte ich den Lauf, um neues auszuprobieren (Kompressionsstrümpfe, Trink- und Ernährungsverhalten, Verzicht auf Eingenverpflegung, Bekleidungswechsel, …) und Bewährtes zu verfeinern (mentale Motivation, Tempo abspulen, Ausrüstung, …). Während des Laufs erfreute ich mich daran, wie weit ich mich in diesem einem Jahr seit meinem ersten Ultra weiterentwickeln konnte und wieviel Freude ich an diesem Sport inzwischen habe. Nach 4½ Stunden schlich sich die erste Krise langsam und gemein an mich heran und versuchte mich zum Aufgeben zu bewegen: das Tempo sank und mein Minimalziel 100 km entschwand immer weiter. Aber es gab dann immer wieder die eine oder andere Motivation: ein Schnack mit Per; Line, die an diesem Tag als jüngste Frau des Nordens (Skandinavien + Finnland) mit gerade einmal 26 ihren 100. Marathon lief und deren Freund an der Strecke alles Mögliche angestellt hatte, um diesen Tag für sie unvergessen zu machen. Höhepunkt war aber die Flasche eines bekannten deutschen alkoholfreien Weizenbiers, das ich zuhause vergessen hatte und das meine Kinder für mich im örtlichen Supermarkt auftrieben und mich damit überraschten (danke Målin und Jasper!). Davon gönnte ich mir ab ca. 19.00 Uhr immer ‚mal wieder einen Schluck und es ging wieder bergauf. Es sind halt die kleinen Sachen, über die man sich als Ultraläufern (wieder) freuen kann …
Ich hatte mich auch sehr auf die nächtlichen Stunden gefreut, aber auf 57° nördlicher Breite sind die Nächte Ende Mai eher kurz und so waren lediglich die letzten 70 Minuten wirklich dunkel. Leider waren ein paar der örtlichen Straßenlaternen ausgefallen und es wurde an einige Stellen für mich und mein altersbedingt schwindendes Sehvermögen J dann doch etwas ungemütlich, insbesondere auf den Schotterstrecken. Und so ging ich, als klar war, dass ich die 100 km nun doch noch schaffen würde, die letzten zwei Runden etwas gemächlicher an, den letzten Kilometer am Meer ging ich sogar. Mit 101,463 km kam ich dann kurz vor Mitternacht im Verpflegungszelt an und freute mich mit den wenigen anderen 12-Stunden-Läufern (wir waren insgesamt 14) über deren Leistungen. Besonders hervorzuheben ist der neue dänische Rekord des Siegers Martin Jørgensen mit 145 km, der alte Rekord lag bei 137 km (!).
Der lange Tag und die Erkältung forderten ihren Tribut und ich fuhr schnell in Richtung Bett. Mittags ließ ich es mir nicht nehmen, die 24-Stundenläufer auf den letzten Kilometern anzufeuern und mich anschließend bei dem einen oder anderen zu verabschieden. Die 24timervedhavet sind ein familiäres Ereignis und jeder, der hier einmal teilgenommen hat, kommt gerne wieder. Und wenn es nur der Verpflegung halber geschieht 😉
Jetzt gönne ich mir ein paar Ruhetage ohne Laufen, in knapp zwei Wochen geht es dann wieder nach Dänemark, dieses Mal an die Südgrenze auf die Nordseite des „Flensborg Fjord“ (der Flensburger Förde) zum Gendarmstien Ultratrail von Kruså nach Sønderborg.
Text und Fotos: Jens Kruse, 2.6.2016