Bello Gallico 2017 – 100 Meilen Matsch

Bello Gallico MedailleBello Gallico 2017, 100 Meilen Matsch in allen Aggregatzuständen und überhaupt, wo ist Hans?

Wie sich wohl die Römer gefühlt haben müssen, als sie Julius Caesar in den gallischen Krieg gefolgt sind und gerade eine lausig kalte und nasse Nacht in Belgien bei leichtem Niesel verbracht hatten. Ihre Gedanken könnten den meinen gleichen: Sonne, Wärme, Rotwein, Pasta – ich will nach Italien. Aber wir sind in einer Dezembernacht in Belgien, südlich von Leuven im flämischen Brabant. Am frühen Sonntagmorgen hat die Kälte deutlich angezogen. Der immer gegenwärtige Matsch gefriert an einigen exponierten Stellen langsam und verliert freundlicher Weise seinen Schmierseifen-Charakter. Hans (Kaluza) und ich sind schon rund 120k unterwegs, alle Geschichten sind erzählt, wir sind still und freuen uns auf den nahen Sonnenaufgang. Und der Lauf ist fast auf der Guthabenseite: nur noch einen kleinen Marathon abspulen und dann erwartet uns das Ziel mit dampfenden Kaffee, Essen und …

Das war eindeutig nicht meine Idee! Hans hatte die Idee, ein Hundertmeiler in Belgien sei der gebührende Abschluss für ein erfolgreiches Ultrajahr 2017. Dabei hätte ich misstrauisch sein sollen, denn da wo Belgien draufsteht, ist immer ein richtiger Trail mit viel Matsch drin, insbesondere im Dezember nachdem es seit Wochen geregnet hat. Der Bello Gallico startet in Oud-Heverlee, südlich von Leuven. Es ist der 16. Dezember 2017. Start und Ziel ist der Veranstaltungssaal „Zaal Rosenberg“ am See „Zoetwater“. Um 4:00 ist Start. Das Briefing fällt pragmatisch kurz aus – nach dem Motto „Es hört ja eh keiner zu“. Ich verstehe nur den letzten Satz „you have to finish on the stage“. Der Kurs ist gut markiert (trotz meines Rufes, ich könne mich auch in einer Telefonzelle verlaufen, muss ich nur wenige Extrakilometer machen) und alle 20k gibt es eine Verpflegungsstelle. Der Bello Gallico besteht aus zwei 80k-Runden. Der Start und Zielbereich ist der Wendepunkt. Die zweite Runde ist in entgegengesetzter Richtung zu laufen.

Bello Gallico Stefan Strecke

Die ersten 20k sind noch prima zu meistern, meist über Forst- und Landwirtschaftswege und haben nur wenige Höhenmeter. Die großen Pfützen und der Matsch prophezeien, dass der Lauf trotz der moderaten Anzahl an Höhenmetern (2700m) anstrengend sein wird. Gegen acht wird es endlich hell, aber die Strecke leider nicht besser. Der Matsch ist rutschig wie Schmierseife und die vielen tiefen und mit Wasser gefüllten Traktorfurchen und Matschpfützen sorgen dafür, dass die Schuhe schon sehr bald quietschnass sind und das Laufen nicht einfacher wird. Im Wald laufen wir z.T. schöne Singletrails … im tiefen Matsch. Vor der Verpflegung bei 60k vermisse ich Hans. Wir sind bis auf einige Kilometer brav zusammen gelaufen und die letzte halbe Stunde zumindest – mit anderen Läufer quatschend – in Sichtweite geblieben. Ich warte in der Verpflegung (VP) und wundere mich, dass man soviel länger für 300m brauchen kann. Nach zehn Minuten mache ich mir Sorgen. Was ist los? Verlaufen? Aufgegeben? Beides kann nicht sein. Hans läuft nach dem Track auf der Uhr und Aufgeben passt auch nicht. Da müsste er schon von einem Meteoriten getroffen werden – eher unwahrscheinlich. Auf dem Laptop in der VP sehe ich, dass Hans inzwischen schon zweieinhalb Kilometer Vorsprung hat! Ich beeile mich und wundere mich, warum er nicht den VP angelaufen hat. Ich überhole viele Läufer und frage alle, ob sie Hans gesehen hätten. Einer schaut auskunftswillig auf seine Laufuhr und sagt in gebrochenem Deutsch „half drie“, hä? Andreas will dran bleiben. Ich rufe ihm albern zu „komm mit, wenn Du kannst“. Später am Wendepunkt bei 80k erreiche ich Hans telefonisch. Er ist seinem GPX-Track gefolgt, kurz vor dem VP abgebogen und nicht den 200m Stichweg zum VP gelaufen. Nach einer 3k-Schleife kommt der VP wieder in Sichtweite und Hans nutzt die lang ersehnte Verpflegung, während dessen ich nun zügig weiter bin. Ich warte bei 80k auf ihn, gönne mir eine zweite Portion Lasagne und wir meistern die anstehende lange Nacht gemeinsam.

Tiefmatsch im Wald wechselt sich ab mit Tiefmatsch auf dem Feld. Der Himmel klart auf und gönnt uns einen tollen Blick auf die Sterne. Dafür wird es aber auch bitter kalt. Irgendwann laufen wir gefühlte 10k über einen desaströsen Feldweg, bei dem ich mich wundere, ob hier nicht jeder Traktor kapitulieren müsste. Meine Handschuhe sind eine Katastrophe. Meine Finger sind steif gefroren und haben Ihre feinmotorische Funktion verloren, so dass die Riegel wohl im Rucksack bleiben müssen. Die Powerbar-Riegel sind nun eh steinhart und wären eine Herausforderung für jeden Beißaparat. Ich überlege kurz, warum ich das hier mache und dass ich jetzt lieber in der warmen Küche Plätzchen backen und Rotwein trinken würde. Wir laufen ein Stückchen Asphaltstraße und machen uns fast lang – es ist spiegelglatt gefroren – dann wohl doch besser Matsch. Der friert nämlich so langsam und ermöglicht uns ein besseres Vorankommen. Nach der fünfzehnstündigen Dunkelheit belohnt uns der Sonntagmorgen mit Sonnenschein. Die Stimmung wird besser und die nächtlichen Strapazen verblassen im Sonnenschein. Jetzt sind nur noch schlappe 20k zu laufen oder besser zu marschieren, denn nach den zurückliegenden 140k wollen die Beine nicht mehr so geschmeidig durchs Gelände. Hans und ich finishen unseren Jahresabschluss-Hundertmeiler auf der Bühne im „Zaal Rosenberg“ in Oud-Heverlee nach rund 31,5h am späten Sonntagvormittag. Wir sind stolz, dass wir alles so charmant und ohne größere Zwischenfälle gemeistert haben. Alles gut. Römer hin oder her, die Feiertage können kommen.

Bello Gallico Hans Stefan Ziel

Text und Bilder: Stefan Henscheid, 19.12.2017

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