Was tut man, wenn man am Ende des Jahres feststellt, dass man für den nächsten UTMB nicht genug Qualifikations-Punkte hat, es aber keinen Lauf gibt, um sie noch zu erkämpfen? Logisch: Man organisiert selbst einen Lauf! So entstand aus einer Freundesgruppe um Michael Esser und Stefan Scherzer der Kobolt, der Koblenz-Bonn-Ultratrail. Damit er den Anforderungen für viele Punkte genügt, hat er viele Kilometer, viele Höhenmeter, aber wenige Versorgungspunkte. Seitdem haben es alle anderen ITRA-Punkte-Sammler einfacher, wenn sie am Ende des Jahres einen solchen Lauf suchen, denn der Kobolt findet seit nun mehr 10 Jahren regelmäßig statt und hat sogar im Laufe der Zeit kleine Geschwister bekommen, wie den Kleinen-Kobolt, der immerhin auch 99 km lang ist.
So ganz einfach ist das mit den Punkte-einsammeln aber immer noch nicht, denn zunächst muss man schnell sein, um überhaupt einen Startplatz zu bekommen, denn die Auflagen sehen nur ein begrenztes Teilnehmerfeld vor. Und einfach ist der Lauf ja nun auch nicht. Auf den Wegen liegen nicht nur jede Menge Laub über Steine und Matsch, sondern die meisten Teilnehmer nehmen die 15 Stunden Dunkelheit, die eine Spät-Novembernacht mit sich bringt, in voller Länge mit und wem schon einmal im ungünstigen Moment die Batterien ausgehen, kann sich nur wundern, wie dunkel es im Wald sein kann.
Jonatahn Gakstatter, Christoph Janthur mit mir kurz vor dem Start. Voller Spannung standen wir nahe der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz und warteten auf den Start.
Die Aussichtsplattform bot einen schönen Blick auf das Rheintal und die umliegenden Berge. Von den angemeldeten LG Ultralaufmitgliedern mussten einige leider kurzfristig wegen Krankheit absagen, dennoch waren auf den verschiedenen Strecken einige am Start. Da Abenteuer hin und wieder auch für manche selbst sehr erfahrene Läufer Schattenseiten bereithalten, nahmen nicht alle den gewünschten Weg ins Ziel. Wäre ja auch kein Abenteuer, wenn es zu einfach wäre, aber jedes DNF tut nun einmal weh, insbesondere wenn es mit einem lauten Knall plötzlich und unerwartet den Lauf abrupt beenden lässt, wie es bedauerlicherweise Thorsten Klenke passiert ist, der sich für den Kleinen-Kobolt entschieden hatte.
Zu dem Zeitpunkt war Christoph bereits aus dem Rennen, denn muskuläre Verhärtungen ließen keinen lockeren Lauf zu. Jonathan war flott unterwegs und stets recht weit vorne zu finden, auch wenn er die Spitzengruppe kurz nach dem Start aus den Augen verloren hatte. Tobias Krumm übernahm kurz vor dem ersten VP in Rengsdorf die Führung und baute sie kontinuierlich aus und gewann schließlich sehr souverän in einer fantastischen Zeit. Verfolgt wurde er von zwei Belgiern, die ungefährdet die nächsten Plätze belegten. Zum Schluss kam Jonathan bis auf 15 Minuten an die beiden ran und hätte sie möglicherweise überholt, hätte er sich nicht einige Wege genauer als notwendig angesehen. Aber kaum einer kam ohne Extrakilometer aus. Daher steht schon in der Ausschreibung 140 km, obwohl der Track doch nur 137km lang ist. Da ist es doch auch eine Frage der Ehre, die 140km voll zu machen.
Mein Plan lautet stets, mich nicht zu verlaufen – weil ich es mir bei meinem Trainingszustand schlicht nicht leisten kann, aber diesmal hat es auch mich ordentlich erwischt. Und zweimal total dämlich. Einmal an der gleichen Stelle, wie 2013, als ich zum ersten Mal am Kobolt teilnahm, kurz vor Hammerstein, wo eine Markierung „unklar“ ist. Das zweite Mal war auf meine reduzierten kognitiven Fähigkeiten zurückzuführen und war so überflüssig, dass ich mich darüber mehr amüsieren als ärgern kann. Zu Beginn des Siebengebirges, wo fürchterlich lange und steile Berge auf die bereits erschöpften Wanderer – von Läufer mag ich gar nicht mehr reden – warten, kam ich langsam in meine Heimatregion, also an Stellen, die ich schon oft gelaufen bin, allerdings fast immer in Nord-Südrichtung (also der anderen) aber seit 2013 nicht mehr. Der Weg zum Auge Gottes war so ein nie-enden-wollender Berg hin zu einer Kapelle, die Waldbesitzer zum Schutz vor Holzdieben erbauten mit der unmissverständlichen Drohung, dass Gott alles sieht. Dann kommt eine längere Passage, die selbst für mich noch gut laufbar war, weil es überwiegend bergab ging, aber dann kommt der Himmerich, der steil, steinig und matschig ist und den ich rauf wie runter einfach nur hasse. Unten war ein Wegekreuz und ich vergewisserte mich, den richtigen Weg zu wählen, allerdings übersah ich völlig, dass sich dieser nach 10 Metern teilt in einen steilen, steinigen und einen flachen asphaltierten Weg. Ich blieb auf dem asphaltierten und wunderte mich, dass sie mitten im Wald diesen Weg so schön gemacht haben und erfreute mich daran, dass er gleich auch viel weniger steil erscheint. Zweifel hatte ich nicht, sondern schaue ehe routinemäßig alle 10 bis 15 Minuten auf den Track. Nun waren die Wege auch noch so weit parallel, dass ich anfangs dachte, ich sei richtig! In Summe schätze ich, dass ich 1 km den falschen Berg hochgedackelt bin und dadurch ca eine halbe Stunde verloren habe. Ach ja, so früh am Morgen ist man halt seinen Träumen sehr viel näher als dem Verstand.
Aber irgendwann war ich dann auch auf dem richtigen Berg oben, habe die letzten Kilometer bewältigt und bin ins Ziel getrabt. Meine Zeit war sogar fast 30 Minuten schneller als 2013, was mich bei dem Trainingszustand und den Extrakilometern echt wundert.
Nachts zu laufen, ist sicher nicht jedermanns Sache, aber mir gefiel die Strecke und die vielen Abschnitte mit Blicken auf den Rhein.
Diesmal war ich aber im Gegensatz zu damals bis auf den ersten 40 Kilometern überwiegend alleine unterwegs, also insbesondere die ganze Nacht. Das Wetter war prima. Nicht zu kalt, anfangs sogar etwas sonnig und nachts gab es nicht nur einen tollen Sternenhimmel und ein Feuerwerk in Bad Hönnigen, das alle Schnellen vermutlich nicht gesehen haben, sondern auch immer wieder fantastische Blicke auf den Rhein mit seinen niedlichen, romantischen Orten. Und die Verpflegungspunkte waren natürlich ach klasse. Nicht so oft, dass man sich daran gewöhnen konnte, aber immer da, wenn man sie brauchte und stets von supernetten Leuten betreut.
Insgesamt war es schon ein klasse Lauf und ich bin heilfroh, ihn gefinished zu haben. Die ersten 100km gingen recht gut, aber dann haben der Verstand und die Beine kollektiv stark nachgelassen, was die Lauffreude deutlich schmälerte.
Für Frank Gehle, der auf der 73km-Strecke unterwegs war, war es ebenfalls ein lohnender Tag. Er startete den Versuch, ohne Navi den Weg zu finden, was leider etwas misslang. Nachdem er sich völlig verfranzt hatte, gab es nur noch die Chance, runter zum Rhein und dann ab nach Oberkassel, wo das Ziel war. Trotz einer hohen Zeitstrafe wurde er für seinen guten Lauf mit dem 3. Platz und einem Preis belohnt.
Ebenfalls erwähnenswert sind die Finishs von Katja Dasbach und Matthias Heinle beim Kleinen-Kobolt.
Gratulation allen Finishern und Mut-zur-Wiederholung für die, die das Ziel nicht erreichten. Thorsten war übrigens einer der ersten, die sich für den Lauf im kommenden Jahr registriert haben. Respekt zu dieser schnellen Entscheidung!
So gab es im Zielbereich und in den Tagen danach in den sozialen Medien sehr viele spannende Geschichten zu lesen, von Frust und Freude und den kleinen und großen Abenteuern auf dem Rheinsteig.
Text und Fotos: Michael Irrgang, 28.11.2019